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  08.12.2003
 

Das Woher und das Wohin

Shelagh Stephensons "Das Gedächtnis des Wassers" im Würzburger theater ensemble zu sehen

 

Extremsituation Tod: Drei Schwestern kommen ins Haus ihrer soeben verstorbenen Mutter, um sich auf die Beerdigung vorzubereiten. So wenig sie sich gleichen, so fremd sind sie einander. Nur eine blieb all die Jahre bei der Mutter, die immer hinfälliger wurde. Die anderen lebten ihr eigenes Leben - oder versuchten es zumindest. Eigentlich wissen sie nicht mehr viel voneinander. Und sind sich doch seltsam vertraut. Die Rückkehr in das Haus, aus dem sie hinaus in die Welt zogen, leitet einen raschen Regressionsprozess ein. Da sind sie wieder, die alten Streitereien. Der Schmerz über einstige Benachteiligungen. Die latenten Aggressionen über die nie gestillten Sehnsüchte. Da sind sie wieder, die alten Rollen.

Da ist sie wieder, die alte Haut, die man doch längst abgestreift zu haben glaubte. Extremsituation Tod - in Shelagh Stephensons Stück "Gedächtnis des Wassers", das derzeit unter der Regie von Jutta Rülander im Würzburger theater ensemble zu sehen ist, geht es um grundsätzliche Fragen der menschlichen Existenz. Um das Woher und Wohin. Und die Frage, ob es eine Chance gibt, der Falle der eigenen Herkunft, dem Klammergriff der Familiengenese zu entkommen. Unter der sensiblen Regie von Jutta Rülander wurde das Stück im Vergleich zur Vorlage leicht modifiziert.

Die britische Dramatikerin Stephenson lässt die verstorbene Mutter als Geist auf der Bühne erscheinen - weise, diesen Auftritt zu streichen. Doch allein die Tonbandstimme der toten Mutter, die mit der ältesten Tochter Marie in Dialog tritt, mag dem einen oder anderen Zuschauer zu viel sein. Den vagen Erinnerungen der Töchter setzt die Mutter-Geisterstimme ein unerschütterliches Korrektiv entgegen: So war es! Und nicht anders. Warum nur? Der Reiz des Stückes liegt eben in der Erkenntnis, dass es die vagen Erinnerungen sind, die das eigene Leben so fragil machen.

Wer wirklich wüsste, was einst gewesen war, was tatsächlich schief gelaufen ist, hätte den Schlüssel für eine bessere Zukunft in der Hand. Doch die Unmöglichkeit, aus den verstreuten Bruchstücken der Erinnerung jemals ein Ganzes entstehen zu lassen, verweist auf die Unmöglichkeit ganzer, ganzheitlicher Zukunftsentwürfe. Weil nichts gewiss ist, was in unserem Gedächtnis herumspukt, weil der Drang zum Selbstbetrug so unüberwindlich groß ist, bliebt unbestimmbar, was im eigenen Selbst schmerzhaft nach, Erlösung schreit. Gut tat Rülander auch daran, das allzu Boulevardeske des Stücks, das als beste Komödie 2002 mit dem "Laurence Olivier Award" ausgezeichnet wurde, so gut es ging auszumerzen. "Gedächtnis des Wassers" ist nichts weniger als eine Komödie. Und unnötig, sie ins Komödiengewand zu packen. Sicher, zahlreiche Stücke greifen Stephensons zentrales Thema auf - das fatal Schicksalhafte des Hineingeborenenwerdens in eine Familie, das wie kein zweiter Lebensumstand prägt. Doch eben dieses Thema gehört zu den unerschöpflichen und darum dankbaren Theaterthemen und muss deshalb nicht zwangsweise schrill angestrichen werden. Ist es möglich, sich zu befreien? Ist es möglich, gegen den reißenden Strom der eigenen Herkunft, der ideologischen Infiltrate von klein auf, der über die Generationen hinweg weitergegeben Familienirrtümer anzuleben? Rülanders Inszenierung lässt diese Fragen offen. Maries Abschied von der Bühne deutet lediglich den Versuch einer Wende an. Wenn sie, die den Winter hasst, künftighin zumindest den Versuch wagen möchte, die Kälte, sprich: die Einsamkeit zu lieben, wagt sie sich weiter vor als ihre Schwestern, die an die eigene Befreiung aus der unheilvollen Familienlogik nicht mehr zu glauben scheinen. Schauspielerische Highlights in Rülanders Inszenierung liefert Monika Braminski als Kathrin.

Die Jüngste unter den drei Schwestern kann es nicht überwinden, als Kind ignoriert worden zu sein. Braminski lässt ihre Figur changieren zwischen pubertärer Trotzköpfigkeit, weinerlicher Neurotik und beleidigtem Selbstmitleid. Kathrins Sehnsucht nach Anerkennung und erkannt Werden spiegelt in verzerrter Weise das familiäre Grundproblem wider. Keine der Schwestern ist fähig, wirklich auf die andere einzugehen. Jede klammert sich auf fatale Weise an ihr bisschen Leben. Aus Angst, dass jenseits dieses mühsam errungenen, mühsam selbst behaupteten Lebens vielleicht gar nichts ist. Nichts, was hält. Nichts, was trägt. Kathrin trägt ihre Erinnerungen wie ein Waffenarsenal mit sich herum. Hinter ihrer alkoholsüchtigen, jointgierigen Flippigkeit lauern latente Aggressionen, die sie in letzter Konsequenz allerdings nicht gegen die Schwestern zu richten vermag. Keine lässt wirklich heraus, was sie fühlt.

Hinter einem mit zahlreichen - teilweise überflüssigen - Intellektualismen gespickten Wortschwall verschanzen sie ihr verletztes Ich. Nur manchmal, wenn die tote Mutter als Kitt fungiert, finden sie sich in altem Übermut zusammen. So gehört die Szene, wenn sich die drei über die Kleider der Mutter hermachen und ein ausgelassenes Kostümfest veranstalten, dankbar um jede Erinnerung und gleichzeitig exzentrisch auf der Flucht vor denselben, zu den köstlichsten und nachhaltigsten in Rülanders Inszenierung. In diesen Szenen laufen auch Esme Koslitz als zur Selbstaufopferung tendierende, vernünftelnde Teresa und Dagmar Schmauß als süffisante Karrierefrau Marie zur Hochform auf. 

Das Stück ist in erster Linie ein Frauenstück. Folglich haben es die Männer schwer. Wolfgang Stenglin als TV-Doktor Mike und verheirateter Liebhaber Maries hätte eine Spur souveräner, großschnäuziger vielleicht auch auftreten dürfen. Uwe Dietrichs Frank, Teresas Ehemann, bringt sich unaufdringlich und überaus subtil ins Spiel. In Dietrichs Rollenausdeutung brechen sich an Frank die Lebenslügen und programmierten Niederlagen der Familie.

Franks eigene Herkunft scheint im Nirgendwo, sein Wesen hat sich offenbar ganz dem verkorksten Lebensideal seiner Gattin anverwandelt. Auch in Frank verdichtete sich der Wunsch nach Ausbruch. Und wenn es für Teresa eine Rettung gibt, liegt sie in ihm. 

Pat Christ 

 

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