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  05.10.2005

Keine Fehler verziehen

»Frühlingserwachen« in der Werkstattbühne Würzburg

Es regnet viel bei »Frühlingserwachen« in der Würzburger Werkstattbühne. Das passt zur tristen Stimmung von Aussichtslosigkeit und dem Verbot natürlichen Empfindens im einstigen Skandalstück von Frank Wedekind. Regisseur Manfred Plagens hat bei seiner Inszenierung ganz auf das Innenleben der Personen gesetzt, auf die noch unausgereift gärenden Emotionen von Jugendlichen, die in Konflikt stehen zur restriktiven Norm der Erwachsenen. Eine Verständigungsebene gibt es nicht. Plagens hat sich sehr viel Zeit gelassen, um die Regungen der jungen Leute zu betrachten, hat sie deutlich kontrastiert zur starren Haltung der Elterngeneration.

Wedekind schrieb das Stück 1890; die Inszenierung belasse es in einer Art All-Zeit in einem schwarzen, leeren Raum; lediglich ein paar rote Stühle markieren Haltepunkte. Ob so das Drama heute noch aktuell ist? Gewiss sind Jugendliche heute früh aufgeklärt, da kann es kaum mehr vorkommen, dass ein Mädchen wie Wendla erst durch eine Abtreibung, von der Mutter veranlasst, erfährt, dass es schwanger ist. Gewiss gibt es heute noch viele Vorurteile gegen Homosexualität, und gewiss suchen sich manche auch Gefühle vom Leib zu halten, indem sie Sexualität als bloß körperliche Funktion einstufen, gewiss existiert immer noch der Fall, dass Jugendliche an Schulangst zerbrechen.

All dies aber entsteht durch gesellschaftliche Zwänge, aus einer unnatürlichen Haltung zum Leben. Auch wenn der Schluss der Aufführung auf schwankendem Untergrund etwas sehr pathetisch geriet: Bedenkenswert ist die Inszenierung dadurch, dass hier glaubhaft Schwierigkeiten von Jugendlichen aufgezeigt werden, die noch »Anfänger« im Leben sind und denen von Erwachsenen keine Fehler verziehen werden. Z war gibt es heute kaum solch rigorose Reaktionen durch die Eltern wie im Stück, aber psychische Störungen bei Heranwachsenden sind eben nicht so auffällig. Ein Vertreter der älteren Generation war Wolfgang Stenglin, in drei Personen: Er war Vater Gabor, Pedant und unmenschlicher Prinzipienreiter, ein dem Äußerlichen verhafteter Pfarrer und ein undurchsichtiger eleganter Herr, der Melchior zum Selbstmord verführt, indem er ihm Ruhe verspricht, zwischen Zauberer und Mephisto.

Auch Uwe Hansen lieferte beeindruckende Charakterbilder als fürchterlich donnernder Schuldirektor, als überstrenger Vater Stiefel, der sich von seinem Sohn lossagt, weil dieser sich umgebracht hat, und als schrecklich gemütlicher Onkel Doktor, der die Augen vor dem Tod Wendlas verschließt. Frauen befinden sich in schwacher Position. Petra Fröhlen als freundliche, verklemmte Mutter Bergmann weigert sich, ihre Tochter aufzuklären, weil dies die so genannte »Moral« verbietet, scheut sich aber nicht, sie daran zugrunde gehen zu lassen. Mutter Gabor (Dagmar Schmauß) kann sich mit ihren freiheitlichen Ansichten gegen die Männergesellschaft nicht durchsetzen. Ganz ausgezeichnet sind die jugendlichen porträtiert: Moritz Hagemeyer und Valery Herp lassen schüchtern Gefühle füreinander aufkeimen, Anja Schmid als still an Schlägen leidende Martha und Dorothy Richter als Ilse gestalten glaubhaft die zur Passivität verurteilten Mädchen.

Sehr einfühlsam Katrin Kolb als Wendla und ebenso großartig Christian Diterich in seinem Versuch, sich als sensibler und nachdenklicher Melchior in einer Welt in die er nicht hineinpasst, zurechtzufinden. Mit seiner feinfühligen Darstellung des Moritz aber berührte Tobias Illing besonders. 

Renate Freyeisen

 

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